Zu seinen Lebzeiten war ich nie Fan von David Bowie. Dabei ist mir Bowie schon in den 1980er-Jahren aufgefallen, als eine meiner Mitschülerinnen täglich eine Jeansjacke mit seinem Namen getragen hat.

Seine Musik habe ich mir aber erst bewusst angehört, als Bowie vor acht Jahren, am 10. Januar 2016 kurz nach seinem 69. Geburtstag verstorben ist. Ich weiß es noch genau: Der „Spiegel Online“ hatte eine Liste seiner Songs veröffentlicht, die wir unbedingt gehört haben sollten. Seitdem habe ich keine Musik so oft gehört wie jene von Bowie. Heute bin ich Fan seiner zeitlosen Musik.

Bühnen-Performance und Rhetorik

Was das Ganze jetzt mit Rhetorik zu tun hat? Gelegentlich schaue ich mir das Video „David Bowie Live by Request A&E 2002“ und auch andere seiner Konzerte auf YouTube an. Ich bin immer wieder begeistert, wie Bowie nicht nur hervorragende Songs live auf die Bühne gebracht hat, sondern wie er in kurzen Interviews mit Moderator Mark McEwen rhetorisch brillant agiert. Sein Ausdrucksvermögen, seine Mimik und Gestik, seine Bühnenpräsenz sind einfach beeindruckend.

So kommt zum ersten Hörerwunsch ein launiges wie überraschendes Statement „No Neal Diamond“, womit es die ersten Lacher im Publikum gibt. Mit kurz eingestreuten Danke-Statements zollt Bowie seiner Band persönlichen Respekt und Anerkennung nach speziellen musikalischen Einlagen. Als Redner kannst du speziellen Menschen gerade in einer längeren Performance immer zwischendurch mal ein kurzes Dankeschön mitgeben.

„Let me take one of these request things on the telephone: Hello, is there anybody there?” Bowie bekommt keine Antwort und stellt die exakt gleiche Frage noch einmal mit einer Energie, die mitreißt, sein Publikum und selbst die Anruferin zum Lachen bringt. Keineswegs spult Bowie hier seine Songs einfach runter. Er und seine Band spielen mit voller Leidenschaft. In jedem einzelnen Song strotzt deren Auftritt vor persönlicher Energie. Von Rednern können wir Gleiches erwarten: dass die persönliche Verbindung zum Thema und zum Publikum von Anfang bis Ende durchkommt. So wird auch unsere Performance als Redner authentisch, wenn wir uns unserem Publikum förmlich hingeben.

 

Spontaneität in kurzen Interviews

In den eingestreuten Kurz-Interviews mit McEwen antwortet Bowie mal launig, mal humorvoll und trotz der sehr gelösten Stimmung immer wieder sehr ernsthaft auf die Fragen, etwa zur Produktion und Entstehung der Songs. Seine Antwort “The experience has to run dry. My own experience.” lässt sich wunderbar auf die Vorbereitung unserer Vorträge übertragen. Auch die schwierigen Aspekte wie Struktur, Melodie, Text und was wir überhaupt mitteilen wollen, sollte uns schon lange vor dem Vortrag klar werden. „Structure, melody, lyrics, what do you want to say. That’s the hard thing.” Später wird Bowie auf seine Zeit in Berlin angesprochen und inwiefern die Stadt den Sound beeinflusst. Er antwortet, dass er die Atmosphäre förmlich aufsaugt und dies sogar als Basis für ein neues Album wirkt.

Als sich McEwen für einen Moment verhaspelt und sich statt des angekündigten Songs „Slip Away“ lieber „Slow Burn“ wünscht, kommt Bowie‘s fixe Antwort „We play anything that begins with “S”.“ und die beiden lachen sehr herzlich. Das zeugt von Spontaneität und Schlagfertigkeit.

Beim nächsten Hörerwunsch fragt er direkt nach: „How old are you?“. Die kritische Antwort seines Fans folgt prompt: „You never ask a woman that.” Statt in Verlegenheit zu kommen, antwortet Bowie charmant „You sound so young and gorgeous.”, ehe sich die überraschte Frau als 40-jähriger Bowie-Fan outet.

Sein nächster Fan erzählt die Anekdote, dass ihr Bruder früher dessen Songs mit den Lippen nachgesungen habe. Bowie gibt vor, dass er in den 1980er-Jahren „pretty much asleep“ gewesen sei – wohl in Anspielung auf seine damalige Drogensucht. Es zeigt, wie er auch mit früheren Fehlern und persönlichen Schwächen umgehen kann. Diese Geschichte spricht er auch später nochmal kurz an.

 

Rollenspiele und Authentizität

Im nächsten Interview-Abschnitt wird Bowie gefragt, wie er in die verschiedensten Rollen wie Thin White Duke, Ziggy Stardust und Major Tom schlüpfen konnte. Seine Antwort ist erstaunlich direkt und offen: „Angst! […] Ich war ein unglaublich schüchternes Kind. Einer der Wege, der mir wirklich geholfen hat, auf die Bühne zu gehen und in großem Stil aufzutreten, war, in verschiedene Rollen zu schlüpfen.“ Wer sich vor Vorträgen und Präsentationen unsicher fühlt, dem können Rollenspiele wie beim Theater oder für Improvisations-Übungen helfen. Ich selbst habe schon lange keine Angst mehr vor Vorträgen; seit 2020 spiele ich in diversen Theater-Kursen mit und erweitere so mein Bühnen-Repertoire für Vorträge und Trainings.

Der nächste Musikwunsch kommt überraschenderweise direkt aus den Zuschauerrängen. Auch wenn er einen Moment braucht, um den Sprecher zu identifizieren, zeigt sich Bowie‘s scharfer Verstand und seine schnelle Auffassungsgabe: Nach „Oh, this is a gag!“ bittet er seinen Fan spontan mit Mobiltelefon auf die Bühne. Das ist die Kunst jeder Rhetorik, mit unerwarteten Einlagen und Störungen umzugehen, ohne sich aus dem Konzept bringen zu lassen. Dazu ist es eine schöne Showeinlage, ehe Bowie meinen persönlichen Lieblings-Song „Heroes“ singt. Ich habe ihn schon viele hunderte Male gehört, und bekomme bis heute jedes Mal eine Gänsehaut davon.

Den einzigen Fauxpas, den er sich während seines Auftritts erlaubt, folgt beim Anruf einer jungen Frau aus Buenos Aires. Hier spricht Bowie Klischees an, indem er fragt, ob sie Fußball-Fan sei oder Tango tanzt und auch sonst immer weitere unnötige Statements einbaut. Sie möchte ihm stattdessen mitgeben, wie sehr sie dessen Musik schätzt und ihn als „very interesting person“ bezeichnet. Er nimmt sich letztlich doch noch Zeit, nimmt ihren Musikwunsch entgegen und bedankt sich.

 

Präsenz vom ersten bis zum letzten Moment

Den nächsten Anrufer erkennt Bowie an dessen Stimme – nicht sofort, dann aber beschreibt er ihn: „You sound incredibly tall … You’re a tall person with really long hair.” Es ist sein Freund und Nachbar Moby, der ihn mit seinem „speziellen Wunsch“ ein wenig aufzieht. Es entspinnt sich eine kurze und überraschende Unterhaltung darüber, ob Bowie dessen Wohnung putzen könnte. Erst als sich das Gespräch in die Länge zu ziehen droht, setzt Bowie dem ein Ende: „Wie lautet der Song?“

Zu guter Letzt wünscht sich sein jüngster Fan, der fünfjährige George den Song „Ashes for Ashes“. Weil die Musik hier schon frühzeitig einsetzt, kommt ein Gespräch nicht mehr zustande. Bowie denkt an George und würdigt ihn später im Song nochmal namentlich.

Wie wurde der junge Bowie eigentlich beeinflusst? Die Fragen vor dem letzten Song gehen auf seine Zeit als Teenager zurück. Es war Little Richard und der Einsatz des Saxofons. Nach dem letzten Stück „Bring me the Disco King“ klingt der Auftritt musikalisch langsam aus, nicht ohne dass Bowie die Zuschauer in der ersten Reihe vollständig abklatscht. Auch hier ist erkennbar: Da ist ein Profi am Werk, von der ersten bis zur letzten Sekunde präsent. Er verabschiedet sich mit den Worten „Thank you so much!“

Obwohl die Aufzeichnung dieses Konzerts von 2002 von mittelprächtiger Qualität ist: Es reißt mich bis heute mit, ich höre die Musik und auch die Interviews dazwischen immer wieder gern. Wenn ich mal eine Prise mehr Schlagfertigkeit und Spontaneität für meinen nächsten Auftritt brauche, lasse ich mich nur zu gern von David Bowie mitreißen.

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