Stell dir vor, es ist Wissenschaft und keiner geht hin. Das hab‘ ich während meiner Zeit als Student und Forscher immer wieder erlebt. Es gibt Tagungs-Sessions, in denen ganze drei Leute im Publikum sitzen, um einem höchstens mittelprächtigen Vortrag zu lauschen. Nur drei, weil das Thema extrem speziell ist und weil in vielen Vorträgen ganz brav viele Zahlen, Daten und Fakten herunter gebetet werden.

Als Studenten lernen wir viel zweifellos interessanten Stoff – sonst hätten wir uns nicht für ein bestimmtes Fach entschieden. Die meisten Professoren machen sich zu wenig Gedanken darüber, wie sie uns diesen Stoff vermitteln. Kein Wunder beim alltäglichen Arbeitsdruck mit Publikationen, Projektanträgen und dem alltäglichen Verwaltungskram. Da ist die ungeliebte Lehre nur das fünfte Rad am Wagen. Wer aber nie gelernt hat, anständig zu präsentieren, bekommt es höchstens noch als Naturtalent hin, den Stoff spannend, lehrreich und gleichzeitig unterhaltsam zu vermitteln. Das kommt leider viel zu selten vor.

Stell dir vor, es ist Wissenschaft und jeder geht hin

Es war mein Glück, eine der spannendsten Vorlesungen gleich als Erstsemester-Student mitzuerleben: Die Geographie der Tropen und Subtropen. Hier kamen ein interessantes Thema und ein sympathisch-charismatischer Professor zusammen. Entsprechend war unser Hörsaal regelmäßig voll. Was hat Prof. Ulrich Scholz neben seiner gewinnenden Persönlichkeit ausgezeichnet? Auch er hat uns in seinen Vorlesungen so manche Theorie mit Zahlen, Daten und Fakten vermittelt. Was er aber anders – und besser – gemacht hat als alle anderen Profs: Er hat sein Wissen in kurzweilige, spannende Stories verpackt!

Prof. Scholz konnte wissenschaftliche Inhalte mit persönlichen Erlebnissen verknüpfen. Da gab es keine mit Text überlasteten Folien. Er hat seine persönlichen Erlebnisse aus der Zeit in Indonesien in den Hörsaal mitgebracht: Weil er fachliche Grundlagen schnell mit seiner Praxis-Erfahrung verknüpfen konnte, war der Wissenstransfer gleich mit dabei.

Seine Spezialität war die parallele Nutzung von zwei Diaprojektoren: Oft hat er zwei Fotos parallel gezeigt und mit seiner persönlichen Geschichte verbunden. Oder er hat auf dem ersten Dia ein Modell aus der Theorie visualisiert, auf dem zweiten ein Foto, um das Modell in der Praxis zu zeigen. Das war für uns Studenten unterhaltsam, immer spannend und gleichzeitig lehrreich. Seine Vorlesung war so extrem gut, dass ich mich ein Jahr später freiwillig nochmal in den Hörsaal gesetzt und gelauscht habe!

Und dann waren da noch jene Professoren, die ähnlich interessante Themen abgedeckt haben. Ihre Vorlesungen waren zwar klinisch sauber und wissenschaftlich äußerst präzise. Sie haben aber viel Theorie mit endlosen Zahlenkolonnen und damals noch unverständlichen Fachbegriffen durchexerziert. Schnarch! Wir Studenten waren schneller weg, als dass wir bis drei zählen konnten. Lieber haben wir den Stoff zuhause und so manches Mal auch gemeinsam gelernt.

Also: Stories machen Wissenschaft wieder spannend. Forschung und Lehre können Geschichten sehr gut gebrauchen. Anhand praktischer Beispiele und persönlicher Geschichten verstehen wir Hintergründiges, Theorien und natürlich wissenschaftliche Fakten viel schneller. Sie regen unsere Phantasie an und prägen sich für uns besser ein, wenn wir uns im Vortrag Bilder ausmalen können: entscheidend ist die möglichst konkrete Vorstellung.

 

Kontroverse: Wie exakt muss Wissenschaft sein?

Aber ist es nicht auch gefährlich, dass wir Wissenschaft und Storytelling so einfach vermischen?

Dann rufen wir schnell viele Kritiker auf den Plan, die uns sagen: Fakten müssen überprüfbar bleiben, Ergebnisse präzise dargestellt werden. Und ohne unsere Fachbegriffe verschwimmen unsere Worte ins Ungefähre – das darf nicht sein! Wenn wir wissenschaftliche Fakten mit Gefühlen, mit Emotionen ausschmücken, koste uns das unsere Glaubwürdigkeit! Wir müssen doch bitte sachlich bleiben!

Dies wird auch auf der Online-Plattform ResearchGate kontrovers diskutiert. So wirft Sven Schade die Frage auf, wie wichtig Storytelling und Visualisierung für die Wissenschaft sind. Es folgen 53 meist sehr ausführliche Antworten. Einige davon gebe ich hier verkürzt wieder.

Geschichten bzw. Stories reichen nach Werner Benger zur Wissensvermittlung nicht aus, um neue Inhalte und Begriffe zu lernen. Wissenschaft habe sich außerdem von der Unterhaltungsbranche abzugrenzen. Andererseits könnten wissenschaftliche Inhalte laut William C. Ray verständlicher kommuniziert werden. Dazu müssten nur genügend Forscher über den eigenen Tellerrand hinaus schauen. Außerdem seien Daten alleine nicht aussagekräftig. Und nach Karen L. McKee sollte sich jeder Wissenschaftler überlegen, wie er seine Inhalte verständlich und direkt erklären kann. So sei Storytelling ein geeigneter (aber nicht der einzige) Weg, um mit dem Publikum zu kommunizieren.

 

Der Blick nach draußen

Es stellt sich also die Frage, ob wir als Wissenschaftler in unserem Elfenbeinturm stecken bleiben möchten. Ich plädiere dafür, dass wir uns für die Außenwelt öffnen und so kommunizieren, dass wir wieder verstanden werden. Dazu müssen wir bereit sein, unsere Fachsprache auf einfach verständliche Begriffe herunterbrechen. Dass damit eine gewisse Unschärfe einhergeht, können wir nicht vermeiden. Solange wir die Methoden und Analysen präzise durchführen, ist nach meinem Verständnis nichts dagegen einzuwenden.

Gewinnen können wir viel – gerade in Zeiten der kritischen Überprüfung nach Legitimation und Glaubwürdigkeit. Nicht zuletzt sind Science Slams gerade beim wissenschaftlichen Nachwuchs beliebt: Hier sind die Inhalte sicher weniger präzise wie in der klassischen Forschung und Lehre. Sie werden dafür auf äußerst unterhaltsame Art und Weise vermittelt und zeigen damit, welches Potenzial Wissenschaft in der Außenwirkung hat. Hier verschwinden die Redner nicht mehr hinter sperrigen Inhalten. Im Gegenteil: Sie geben dem Vortrag eine klar erkennbare persönliche Note. So macht Wissenschaft wieder Spaß – und begeistert nicht zuletzt auch das Publikum.

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